Weil sie unbedingt einen „Schulmann“ sprechen wollte, wurde ich von einem Freund um ein Gespräch mit der Ärztin Zahra M. gebeten, die aus dem Iran nach Berlin gekommen war. „Ja, ich bin eine von den 74 000 Frauen, denen bei uns im Iran Verstöße gegen das Kopftuchtragen vorgeworfen wurden. Dabei hatte ich noch Glück, ich saß deswegen nur 14 Tage im Gefängnis“, war einer ihrer ersten Sätze - kaum hatten wir uns in einem Café am Savignyplatz niedergelassen. Dann erinnerte sie an Zhina Mahsa Amini, die wegen des angeblichen Verstoßes gegen das Hidjab-Gesetz von der iranischen Sittenpolizei festgenommen, geschlagen und schließlich tödlich verletzt wurde.
Frau Dr. Zahra M. berichtete dann, dass ihre 12jährige Tochter von arabischen Jungs in ihrer 6. Klasse beschimpft worden sei, weil sie angeblich „nicht richtig muslimisch lebe“, weil sie in der Hofpause zu viel mit den Jungen spreche, weil sie gegen das Kopftuchtragen sei usw. Oft gäbe es Streit, um es mit den Worten der Neuköllner Ausländerbeauftragten Güner Jasemin Baci zu sagen, „weil eine selbstermächtigte Truppe Sittenwächter allen ihre Normen und Vorstellungen mit Gewalt aufzwingt und Angst erzeugt.“
Ich konnte ihr aus meiner Erfahrung so manchen Fall positiver Konfliktlösung in der Berliner Schule nennen. Aber ihre Sorgen blieben und die Frage: Welche Hilfe, welche Unterstützung kann eine derart bedrängte, eine nach Emanzipation strebende Schülerin erhoffen? Trägt die Lehrerin selbst ein Kopftuch, darf man dann die gewünschte Hilfe, Solidarität und Unterstützung erwarten? Nimmt man die Schulgesetze und Vorschriften zur Hand, muss man die Frage bejahen. Und die raue Wirklichkeit? Der Berliner Schulleiter Detlef Pawollek zweifelt, weil „sich eine konkrete Gefährdung des Schulfriedens … nicht zweifelsfrei klären lässt.“ Das ist auch meine Erfahrung. Bedauerlich? Nein, es ist besorgniserregend, denn inzwischen hat Mobbing aus religiösen Motiven zugenommen. „Der Islam ist hier der Chef“ lautet die Überschrift eines Beitrags der Märkischen Allgemeinen Zeitung vom 29.7.25 in dem es u.a. heißt: „Der Islam beeinflusst offenbar mancherorts den Schulalltag, vor allem in Großstädten, wo der Anteil von Kindern mit Migrationsanteil in einigen Schulen bei mehr als drei Vierteln liegt.“ Der Islamexperte und Psychologe Ahmad Mansour mahnt: „Wer diese Probleme verschweigt, fördert Segregation und Parallelgesellschaften. Die Folge ist Radikalisierung auf beiden Seiten.“ Erst kürzlich haben 73 junge Mädchen eine Moscheegemeinde in Berlin verlassen, weil diese einen Kopftuchzwang im Unterricht erlassen hatte. Verstärkter Druck also, nicht gerade integrationsfördernd. Die Schulleiterin der Spandauer Christian- Morgenstern- Grundschule berichtete im Schulausschuss, dass muslimische Eltern sich bevorzugt an die Lehrerin mit Kopftuch wenden, wenn sie bestimmte Familien-Regeln auch in der Schule durchsetzen wollen, so z. B., dass diese Einfluss auf die Mädchen nehmen möge, in den Pausen nicht mit den Jungen zu sprechen oder dass Ramadan-Regeln konsequenter beachtet werden. Da ist dann auch der Schulfriede gestört, und die Intervention der Schulleitung bzw. der Schulaufsicht wird erforderlich. Der Schulfriede ist ein hohes Gut, denn Lernen in der Gruppe muss spannungsfrei, Unterricht muss ohne Ängste, ohne Mobbing möglich sein, will er erfolgreich verlaufen. Kooperation und Toleranz sind Grundlage in der Klasse, in der Schule, ja in der Gesellschaft. Ich fragte zum Ende des Gesprächs mit der muslimischen Ärztin, ob es nicht einer Lehrerin muslimischen Glaubens zuzumuten sei, während des Unterrichts das Kopftuch abzulegen, um deutlich ein Bekenntnis ihrer Neutralität zu zeigen, vielleicht auch ein Zeichen zu geben, die Integration aktiv zu fördern. Sie bejahte deutlich.Wilfried Seiring, Ltd. Oberschulrat i. R.
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